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Occupy Fernsehgarten – oder: Wenn Medien versagen

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Nun begab es sich zu einer Zeit, da versammelt sich ein Dutzend junger Leute auf dem Mainzer Lerchenberg. Es ist Sonntagfrüh, Fernsehgarten-Zeit, der Himmel weint und die ZDF-Regenschirme kosten 14.95 Euro. Nach der Sendung sitzt man noch zusammen, trinkt ein Abschiedsbier und geht dann seiner Wege.

So langweilig hätte die Geschichte lauten müssen, wäre eine Sache nicht gewesen. Wie es durchaus üblich im Jahre 2012 ist, fand die Verabredung zum Fernsehgarten-Besuch im Internet statt. Sogar auf Facebook. In einer eigenen offenen Gruppe. Der Name: “Occupy Fernsehgarten”. Und dies war der Auslöser zu etwas viel Größerem.

Occupy = Krawall

Aufgeschreckt vom furchteinflössenden Namen “Occupy” gab es bereits im Vorfeld Bedenken der Gruppe gegenüber. Welt Online titelte: “Occupy Fernsehgarten: Fans wollen ZDF-Show entern”. Bei t-online hieß es: “ZDF-Fernsehgarten – Gruppe plant Besetzung während Live-Show”. Absender der dahinter liegenden Artikel: Die Nachrichtenagentur dapd. Doch dazu später mehr.

Viel Vorbereitung für die Gruppe gab es nicht mehr. Schließlich hatte man einen offen einzusehenden “Schlachtplan“. Und wie die dapd ohne Ironie-Vermerk klar stellt, wolle die Gruppe von “allen Twitterfronten” berichten. Natürlich erst, nachdem sie den Fernsehgarten “geentert” hat.

Saufgelage am Vorabend

Bereits der Vorabend hätte stutzig machen müssen. Drei Mitgliedern der potenziellen Fernsehgarten-Besetzer ist ihr Schlaf besonders wichtig, weshalb sie bereits am Samstagabend den Weg von NRW nach Mainz angetreten waren. Im Hotel war man nach einem kurzen Smalltalk als der prominente Besuch in Mainz identifiziert. “Ach Sie wollen zum Fernsehgarten?” – und nach einer eingestandenen Google-Suche später – “Ach Sie sind das von der Occupy-Gruppe?”. Denn wie es der Zufall will: Jeder in Mainz kennt jemanden, der beim ZDF arbeitet. Und zufälligerweise habe es im Vorfeld für die Fernsehgarten-Crew eine Warnung gegeben – “Achtung, Occupy kommt.” Dass es auch an die Crew verteilte Fotos der Gruppenmitglieder geben soll, erscheint aber dann doch etwas übertrieben. Obwohl: Mir war bis dato auch nicht bewusst, dass Hotelmitarbeiter nach ihren Gästenamen googeln.

Nach einem gemütlichen Restaurant-Besuch und einem Spaziergang in der malerischen Altstadt landete man zu dritt im Biergarten einer hiesigen bekannten Abendlokation. Nach vier Bier begab man sich dann kurz nach Mitternacht ins Hotel. Im Nachbericht wird es bei der “dapd” heißen, die Gruppe habe den Alkoholpegel am Abend zuvor angehoben.

Saufgelage zur Sendung

Ach ja, die Sache mit dem Alkohol. Wie bedeutend sie ist, wird häufiger erwähnt. Es ist von “Bierflaschen” die Rede, von “Ausnüchterungszelle” und von “Bier, das fließt”. Die totale Ballermannisierung der Facebook-Gruppe. Wenn schon keine Krawallmacher, dann wenigstens betrunken.

Die müssen es doch gewesen sein…

Am Ende des Tages sollte sich herausstellen, dass eine Gruppe junger betrunkener Leute für einige Sekunden das Mikrofon gekapert hatte. Und nur wenige Wochen später ein erneuter Eklat. Was liegt ferner, als “Occupy Fernsehgarten” zu verdächtigen? Vielleicht die Tatsache, dass wir während unseres Besuches Begleitung hatten. Vom ZDF. Und von der dapd. Und wir beim neuerlichen Skandal da waren, wo wir am liebsten sind: auf Twitter. Und nicht in Mainz.

Katerfrühstück

Was bleibt also von einem unspektakulären Sonntag übrig? Die Erkenntnis, dass selbst mit besten Vorsätzen (“Aktivisten”?) Journalismus an vielen Stellen nur geübt wird. Nachrichtenagenturen durch unsauberes Arbeiten eine ganze Verkettung an Mutmaßungen nach sich ziehen. Dass das ZDF lieber Angst hat, als mal per Twitter oder Facebook nachzuschauen, was sich hinter dem Titel “Occupy Fernsehgarten” verbirgt. Und die Erkenntnis, dass die ZDF-Regenschirme mit 14,95 Euro der reinste Wucher sind.

Bis zum nächsten Mal! Dann bei “Occupy Traumschiff”, wenn wir Kapitän Paulsen über Bord twittern. Har har!

Anmerkung: Ich bin freiberuflicher Journalist und arbeite als Autor für das ZDF. Buh!

Update: Sowohl zum ZDF als auch zur dapd gab es im Vorfeld des Fernsehgarten-Besuchs Kontakt. Anscheinend aber nicht genug, sonst wären einige Zitate auch im Nachhinein nicht gefallen.

“Die Occupy-Bewegung steht für Widerstand und Krawall”, sagt der Leiter der Gute-Laute-Sendung, Christoph Hillenbrand. Der Titel der Aktion sei deshalb für seinen Geschmack auch “eher unglücklich” gewählt. Weil sich Netznutzer vorbei am Sender organisiert und den Lageplan der ZDF-Sendezentrale als “Schlachtplan” bezeichnet hatten, wussten die Programmmacher nicht: Kommen TV-Fans oder Krawallmacher?

Überhaupt stellt sich die Frage: Ist Occupy Krawall?


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